Die von den Icefall Doctors, einem hoch spezialisierten Sherpa-Team, gesicherte Route durch den Khumbu-Eisbruch ist seit dem gestrigen Sonntag offiziell geschlossen. Damit ist die Frühjahrssaison 2022 am Mount Everest Geschichte.
Sie brachte rund 700 Aufstiege zum höchsten Punkt der Erde, etwa 650 auf der nepalesischen Südseite des Bergs und davor 50 auf der tibetischen Nordseite, die einmal mehr für Ausländer gesperrt blieb. Bis auf sehr wenige Ausnahmen – eine davon David Göttler – verwendeten die Bergsteigerinnen und Bergsteiger Flaschensauerstoff. Daran haben wir uns inzwischen ebenso gewöhnt wie an die reißerischen Schlagzeilen: „Erste/erster … auf dem Everest“ oder „Neuer Rekord am Everest“. In anderer Hinsicht war es eine denkwürdige Saison.
Stabil gutes Wetter wie selten
Zunächst einmal in puncto Wetter: Das Schönwetterfenster war rekordverdächtig, der Klimawandel lässt grüßen. Seit der ersten großen Gipfelwelle auf der Südseite des Bergs am 11. Mai gab es nur wenige Tage, an denen kein Gipfelerfolg vermeldet wurde. Es wehte wenig oder gar kein Wind, es gab kaum Schneeschauern, es herrschten relativ warme Temperaturen. Grund war das Mega-Hochdruckgebiet, das beständig über Indien lag und dort zu einer Hitzewelle mit Temperaturen bis zu fast 50 Grad Celsius führte. Die Expeditionen am Everest profitierten davon: Der sonst gefürchtete Jetstream mit seinen Höhenstürmen blieb diesmal über mehr als zwei Wochen aus.
Trend zum Zweit-Sherpa
Kein Wunder, dass die Erfolgsquote der kommerziellen Teams in diesem Frühjahr deutlich höher lag als in der Corona-Everest-Saison 2021 mit deutlich kürzeren Schönwetterfenstern. Das nepalesische Tourismusministerium hatte 325 Besteigungsgenehmigungen für ausländische Bergsteigerinnen und Bergsteiger ausgestellt. Rund 240 von ihnen erreichten den Gipfel, schätzt der US-Blogger Alan Arnette, der wie kein Zweiter den Überblick über die kommerziellen Everest-Expeditionen behält.
Alan zählte zudem rund 400 Everest-Gipfelerfolge durch Climbing Sherpas. Das bedeutet: Gingen wir bisher davon aus, dass in der Regel ein Kunde mit Flaschensauerstoff und persönlichem Sherpa aufstieg, geht jetzt der Trend zum Zweit- oder Dritt-Sherpa. Immer häufiger erreichen Sherpas inzwischen auch zweimal in der Saison den Gipfel.
Doppelt und dreifach bestiegen
Das führt dazu, dass Rekordhalter Kami Rita Sherpa – der 52-Jährige erreichte am 7. Mai als Chef des elfköpfigen Sherpa-Fixseilteams zum 26. Mal den Gipfel – den Atem seiner (jüngeren) Verfolger in der Rekordliste im Nacken spürt. Sowohl der 45 Jahre alte Pasang Dawa Sherpa als auch der 40-jährige Ngima Nuru Sherpa stiegen in dieser Saison zweimal mit Kunden auf. Für Pasang Dawa waren es die Everest-Besteigungen Nummer 24 und 25, für Ngima Nuru die Erfolge Nummer 23 und 24.
Am 8485 Meter hohen Makalu, unweit des Everest gelegen, gelangen Lakpa Sherpa nach Angaben seines Arbeitgebers Seven Summit Treks in dieser Saison sogar drei Gipfelerfolge innerhalb von 16 Tagen. Der Bedarf, sich von Sherpas auf den Berg helfen zu lassen, scheint eher größer als kleiner zu werden.
Mehr Flaschensauerstoff und Heli-Doping
Das kommerzielle Bergsteigen neigt zu immer mehr Infrastruktur, sprich nicht nur zu noch mehr Sherpa-Unterstützung, sondern auch noch mehr Flaschensauerstoff – und auch noch mehr Hubschraubereinsatz. Helikopter werden zunehmend genutzt, um während der Akklimatisierungsphase mal eben in tiefere Lagen zu fliegen, teilweise sogar bis zurück nach Kathmandu, um sich im Hotel in „dickerer“ Luft zu erholen.
Und auch der Materialtransport nach Lager 1 oder 2 am Everest wird inzwischen häufig mit dem Heli erledigt – offenbar mit stillschweigendem Einverständnis der nepalesischen Behörden. Bislang waren an den Flanken der höchsten Bergen Nepals nur Rettungsflüge erlaubt. Meine Anfrage an die nepalesische Luftfahrtbehörde CAAN, ob sich an dieser Regel etwas geändert habe, blieb unbeantwortet.
Wären denn Materialtransporte in Camp 1 oder 2 so verwerflich? Würde es doch zur Minimiereung des Risikos für die Sherpas führen, denn diese tragen das Material durch den gefährlichen Ice Fall, nicht die „Kunden“. Ja wir hatten eine große Reserve O2 dabei und 3 volle Flaschen wieder runtergebracht. Sollte ich im Stau stecken (2019) geht mir der O2 eben nicht aus. An einem Toten von 2019 musste man vorbeigehen, dem ist damals im Stau der O2 ausgegangen.
Insegsamt ist richtig, am Everest ist alles eben ein bisschen anders, aber trotzdem auch schön
Ich denke, allen ist klar, dass der Everest auf den Normalrouten inzwischen ein kommerzialisierter Berg ist. Ich fände es nur gut, wenn alle Beteiligten mit offenen Karten spielten. Die nepalesische Regierung tut immer noch so, als wären Helikopterflüge an den Flanken der höchsten Berge der Erde nur für Rettungszwecke zugelassen. Die Realität sieht anders aus.