Die Stildebatte in der Bergsteiger-Szene nimmt an Fahrt auf – nicht zuletzt wegen der Ereignisse in diesem Jahr an den Achttausendern: 17 Tote in der Frühjahrssaison am Mount Everest; die Rekordjagden der Norwegerin Kristin Harila und des Nepalesen Tenjen Sherpa sowie anderer; der Tod des pakistanischen Hochträgers Muhammad Hassan am K2; die vier Lawinenopfer an der Shishapangma, unter ihnen Tenjen Sherpa.
In den vergangenen Tagen haben sich Top-Bergsteiger wie die Spanier Kilian Jornet und die Brüder Eneko und Iker Pou zu der Frage geäußert, ob an den höchsten Bergen wirklich alles erlaubt sein sollte, was möglich ist. Besonders an Herz legen möchte ich euch Kilians Essay. „Der Stil des Bergsteigens hat im Himalaya eine große Bedeutung, die über persönliche Vorlieben hinausgeht“, schreibt der 36-Jährige. „Als Kletterer sind wir mehr als nur Sportler; wir sind Hüter dieser majestätischen Berge und ebnen den Weg für künftige Generationen. Jede Entscheidung, die wir beim Klettern treffen, hat Folgen für die Umwelt und andere Menschen und prägt die Zukunft des Kletterns selbst.“
Ich habe einige Bedingungen zusammengestellt, die aus meiner Sicht nötig sind, damit ein Bergprojekt nicht nur verantwortbar ist, sondern auch den Alpinismus weiterbringt. Damit ist hoffentlich klar, dass ich mich an Bergsteigerinnen und Bergsteiger richte, die auf höchstem Kletterniveau unterwegs sind. Doch auch für den „Bergnormalo“ ist vielleicht der eine oder andere Denkanstoß dabei.
1. Neuland betreten
Wer an den Bergen auf ausgetretenen Pfaden unterwegs ist, kann persönlich an seine Grenzen gelangen und auch Abenteuer erleben, bringt den Alpinismus aber nicht weiter. Einzige Ausnahme: Man beschreitet auf einer schon begangenen Route stilistisches Neuland, indem man sie zum Beispiel erstmals im Alpinstil oder auch im Alleingang meistert. Also: Sucht euch anspruchsvolle Ziele! Die Größe der Herausforderung ist dabei wichtiger als die Höhe des Bergs.
2. Im kleinen Team
Grob gesagt: Je kleiner das Team, desto größer die Leistung, nicht nur die sportliche, auch die psychologische. Ein echtes Solo – wie das von Reinhold Messner 1980 am Everest, während des Monsuns, als niemand sonst am Berg war – ist anspruchsvoller als ein Aufstieg zu zweit auf gleicher Route, bei dem man sich gegenseitig sichern und auch helfen kann. Auch für kleine Teams gilt: Die Seilpartner oder -partnerinnen sollten zumindest annähernd gleich leistungsstark sein. Nur dann können die Aufgaben gleichberechtigt verteilt werden – anders als bei kommerziellen Gruppen, in denen die Hauptlast bei den Bergführern und den Climbing Sherpas liegt.
3. Ohne Flaschensauerstoff
Schon vor rund 100 Jahren bewiesen Bergsteiger britischer Expeditionen auf der Nordseite des Mount Everest, dass man auch ohne Atemmaske auf über 8000 Meter gelangen kann: 1922 erreichten George Finch und Geoffrey Bruce eine Höhe von 8320 Metern, 1924 schaffte es Edward Norton in dem später nach ihm benannten Couloir sogar bis auf 8572 Meter. Und spätestens seit Reinhold Messners und Peter Habelers erster Everest-Besteigung ohne Flaschensauerstoff 1978 wissen wir, dass auch der höchste Punkt der Welt auf 8849 Metern ohne Maske erreichbar ist.
Für alpinistisch bahnbrechende Aufstiege muss zudem gelten, dass alle (!) Teammitglieder ohne zusätzlichen Sauerstoff unterwegs sind. Es macht einen Unterschied, ob jemand generell auf die Atemmaske verzichtet oder sie mit einplant: etwa als Sicherheitsgarantie oder indem er oder sie sich von Sherpas, die Flaschensauerstoff nutzen, die Spur treten oder Gepäck tragen lässt.
4. Keine Infrastruktur am Berg
Echte Alpinisten brauchen keine Infrastruktur am Berg. Keine Helfer, um im Schnee zu spuren – das erledigen sie selbst. Keine Fixseile, um sich daran heraufzuziehen. Keine festen Hochlager, sondern nur das Zelt im eigenen Rucksack. Keine Hubschrauber, um Material oder sogar Menschen auf den Berg zu bringen. Und sollte jemand versucht sein, einen Helikopter zu chartern, um ins Basislager zu gelangen – man kann dorthin wandern. Es dauert zwar länger, hat aber zwei Vorteile: Man erlebt Land und Leute und akklimatisiert sich quasi en passant.
5. Nichts zurücklassen
Verlasse den Berg so, wie du ihn vorgefunden hast! Das gebietet der Respekt vor der Natur und auch vor künftigen Generationen von Bergsteigern. Also: Packe deine Zelte ein und schaffe sie wieder nach unten! Ziehe deine Seile ab und nimm sie wieder mit! Denke auch nachhaltig, wenn du Sicherungsmittel verwendest wie Haken, Klemmkeile, Eisschrauben oder Firnanker! Verursache so wenig Müll wie möglich und bringe den unvermeidlichen Unrat wieder vom Berg – selbst Kot lässt sich in Spezialsäcken abtransportieren!
6. Ehrlich kommunizieren
In den sozialen Medien finden sich viele Wasserstands- und Erfolgsmeldungen, in denen Bergsteigerinnen und Bergsteiger übertreiben, wichtige Informationen verschweigen oder im Extremfall sogar lügen. Guter Stil bedeutet auch, bei der Wahrheit zu bleiben; sie nicht zu beugen, sondern genau zu sein. Es macht zum Beispiel einen Unterschied, ob man ohne Helfer aufsteigt oder mit einem, zwei oder mehr Sherpas; ob jemand einen Achttausender ohne Flaschensauerstoff auf der Normalroute der kommerziellen Expeditionen bestiegen hat oder auf einer nicht gesicherten Route; ob man eine komplett neue Route eröffnet oder eine Variante; …
Viele Topbergsteiger halten es mittlerweile wieder so wie die Bergsteiger früher: Sie kündigen ihre Projekte nicht öffentlich an, sondern berichten erst nachher darüber. Das nimmt ihnen öffentlichen Druck. Zum anderen verschafft es ihnen die nötige Ruhe, um sich ganz auf ihre sportlich ambitionierten Ziele zu konzentrieren. Die Welt kann warten – auch wenn sie das nicht mehr gewohnt ist.
P.S.: Für alle, egal ob Profis oder Amateure: Demut ist wichtiger als Ego. Es geht nicht ohne Respekt vor Berg und Mensch sowie ohne eine realistische Einschätzung des eigenen Könnens.
Hallo Stefan
Aus meiner Sicht fehlt in Deinem Vorschlag eine Bemerkung zur Hin-und Rückreise von Projekten. In Zeiten von Klimawandel und dem Thema Reduktion von CO2-Emissionen sollte man sich überlegen, was vernünftig und „im Rahmen“ ist. U.u. macht die Art und Weise wie man an- und abreist, ob mit Flugzeug, Auto, etc. den grössten Teils des Umweltfussabdrucks der gesamten Unternehmung aus.
Ich finde, dass wir nicht so weitermachen können wie bisher, auch wenn der Anteil von Bergabenteuern an den globalen Gesamtemissionen sehr gering sind.
Was sind Eure Meinungen dazu?
Freundliche Grüsse DF
Lieber Stefan,
ich finde deine “ Gebote “ als ausgezeichnete Leitplanken und Impulsgeber – ganz im Sinne des originalen Dekalogs:
Es sind Weg -worte , mögen sie beherzigt werden!
Churchy