Wenn Thomas Huber über die Freiheit in den Bergen redet, leuchten seine Augen. „Berge sind so viel mehr als nur ein Name, eine Besteigung oder ein Rekord“, sagt mir der ältere der beiden „Huberbuam“. „Berge geben dir die Möglichkeit, etwas ganz Besonderes zu finden. In dir selbst. Deine innere Freiheit.“ 57 Jahre ist Thomas inzwischen alt. Nach dem Verlust seines Jagdhunds Cerro, der im vergangenen Winter überfahren wurde, entschloss er sich, in diesem Jahr auf Expeditionen zu verzichten. Stattdessen konzentrierte er sich darauf, seinen neuen Hund Torre auszubilden – und bergsteigerisch gewissermaßen zu seinen Wurzeln zurückzukehren, dem extremen Klettern.
Meisterstückl
„Im letzten Frühjahr war für mich der achte Schwierigkeitsgrad der Status Quo“, erzählt mir Huber vor einem Vortrag am vergangenen Wochenende in Köln. „Ich wog 88 Kilogramm, ich hatte ein richtiges Wamperl. Da habe ich mir gesagt: Cerro, du gibst mir jetzt diese Herausforderung, wieder zurückzukommen.“ Er suchte sich ein Projekt vor der Haustür: die neue Route „Meisterstückl“ am 1973 Meter hohen Untersberg nahe Berchtesgaden, „etwas zwischen dem oberen zehnten und dem unteren elften Schwierigkeitsgrad“.
Mit Routen auf diesem extremen Niveau waren er und sein Bruder Alexander weltweit bekannt geworden – als sie noch deutlich jünger waren. „Einer wie (der 30 Jahre alte deutsche Top-Kletterer) Alex Megos isst ein paar Karotten, und zieht dann so eine Route zum Aufwärmen weg“, sagt Thomas und lacht. „Ich war davon schon sehr weit weg und dachte, ich mache nur noch Expeditionen, bei denen es vor allem auf Erfahrung ankommt. Ich habe sehr hart trainiert. Und jetzt bin ich wieder da.“
Ende Oktober, an einem der letzten schönen Herbsttage, war er kurz davor, die Route zu vollenden. „An diesem Tag hätte ich es schaffen können. Die Bedingungen waren perfekt, der Fels hatte einen super Grip“, erzählt Huber. Dann brach ein Felsklotz aus und verletzte ihn leicht am linken Knöchel. Weil er den Fuß nicht mehr voll belasten konnte, war ausgeschlossen, dass er weiterkletterte. „Aber jetzt geht es mir wieder super. Dann mache ich es halt im nächsten Jahr. Der Berg rennt nicht weg.“
Shivling, Latok, Ogre
Thomas Huber hat in seiner Karriere nicht nur in den Alpen Bergsteiger-Geschichte geschrieben, sondern auch an den Granitfelsen des Yosemite-Nationalparks, in Patagonien, der Antarktis, im indischen Himalaya und im Karakorum. Die Liste der Erstbegehungen ist lang. So kletterte er 1997 – mit seinem Bruder Alexander, Toni Gutsch und Conrad Anker – erstmals durch die Westwand des 7108 Meter hohen Latok II in Pakistan. 2001 meisterte er mit Iwan Wolf eine neue Route am Nordpfeiler des 6543 Meter hohen Shivling in Indien. Dafür wurden die beiden mit dem Piolet d’Or ausgezeichnet, dem „Oscar des Bergsteigens“. 2001 gelang Huber – mit Wolf und Urs Stoecker – in Pakistan die erst zweite Besteigung des legendären 7285 Meter hohen Ogre, der als einer der klettertechnisch schwersten und gefährlichsten Berge der Welt gilt.
„Das würde ein richtiger Bergsteiger nie tun“
Über das kommerzielle Bergsteigen an den Achttausendern schüttelt Thomas nur den Kopf. „Das hat nichts mehr mit normalem Bergsteigen zu tun, das ist nur noch Bergtourismus“, sagt Huber. „Die Sherpas haben das Achttausender-Bergsteigen als Geschäftsmodell entdeckt. Sie sind nicht nur in ihrem eigenen Land, sondern auch in Pakistan und in Indien unterwegs und verlegen dort die Fixseile. Keine Frage, sie sind spitzenmäßig drauf und können es. Aber vom Basislager bis zum Gipfel liegen jetzt die Fixseile.“
Der Tod des pakistanischen Hochträgers Muhammad Hassan im vergangenen Sommer am K2 und die Tatsache, dass Dutzende von Gipfelanwärterinnen und -anwärtern an ihm vorbeistiegen, hat Huber erschüttert. „So etwas würde ein richtiger Bergsteiger niemals tun“, sagt Thomas. „Ich wäre nicht weitergegangen, selbst wenn er gestorben wäre. Wann immer auf unseren Expeditionen, die bei weitem schwieriger waren als der Aufstieg auf der Normalroute auf den K2 etwas passiert ist, haben wir alles andere hintenangestellt – egal ob Russen, Ukrainer, Amerikaner oder sonst wer betroffen waren. Das Leben eines Menschen zählt, und der Berg kann warten.“
Den Berg verstehen
Was am K2 geschehen sei, passiere auch an den anderen attraktiven Achttausendern wie Manaslu, Kangchendzönga, vor allem aber am Mount Everest, so Huber. „Dazu habe ich einfach keine Lust mehr. Ich brauche keinen Achttausender.“ Diese Berge seien ihm viel zu voll, die Umweltverschmutzung sei erschreckend. Und auch die Einstellung der meisten Leute dort sei eine komplett andere als seine eigene.
„Es gibt ja den wunderbaren Ausspruch von Paul Preuß: ‚Das Können ist des Dürfens Maß.‘ Einen Aspekt aber hat er vergessen: Letzten Endes gibt der Berg vor, wie weit du gehen kannst. Du musst die Sprache der Natur und der Berge verstehen. Nur so kannst du in Extremsituationen bestehen“, sagt Thomas. „Achttausender-Bergsteiger, die nur ein einziges Mal mit Steigeisen trainiert haben und gerade mal wissen, wie sie sich mit dem Jümar (Steigklemme) ins Fixseil einhängen müssen, haben den Berg nicht verstanden. Sie sehen ihn rein als Trophäe.“
Rückkehr ins Choktoi-Tal
Im kommenden Jahr will Thomas Huber wieder auf Expedition gehen, nach Patagonien – und auch wieder ins Tal des Choktoi-Gletschers im Karakorum, mit seinen Granitriesen wie den Latok-Gipfeln. „Wenn wir Glück haben, die Verhältnisse passen, und wir gesund sind, können wir noch richtig was reißen“, sagt Thomas und zitiert den 2015 tödlich verunglückten US-Spitzenkletterer Dean Potter: „Bergsteigen ist kein Extremsport, sondern eine Kunst. Eine besondere Auseinandersetzung mit der Natur. Kunst ist grenzenlos und löst alle Grenzen auf. Und das offenbart dir eine persönliche Freiheit.“ Und wieder glänzen seine Augen.
P.S.: Ich kann euch wärmstens Thomas Hubers Buch „In den Bergen ist Freiheit“ empfehlen, das ich gerade lese. Mehr dazu, wenn ich durch bin.