Flagge zeigen gilt ja eigentlich als etwas durchaus Positives. Aber muss die Flagge gleich 100 mal 30 Meter groß sein und von einem 6812 Meter hohen Berggipfel wehen? Genau das geschah am Dienstag vergangener Woche an der formschönen Ama Dablam im Everest-Gebiet. Eine Riesenflagge Kuwaits wurde vom Gipfelgrat aus den markanten Hängegletscher hinab ausgerollt. Selbst im gut zehn Kilometer Luftlinie entfernten Dorf Khumjung war die Flagge noch zu erkennen. Seitdem wird in der Bergsteiger-Szene heftig über die Aktion diskutiert. Die einen sehen den Berg entweiht und die alpinistischen Werte verraten, die anderen bejubeln die Tollkühnheit der Aktion.
Purja: „Niemanden behindert“
150 Kilogramm wog die Flagge. Sechs Sherpas des nepaleischen Expeditionsveranstalters „Elite Himalayan Adventures“ hatten sie in je 25 Kilogramm schweren Einzelteilen auf den Gipfel getragen, dort zusammengesetzt und entrollt. Expeditionsleiter Nirmal „Nims“ Purja – der kürzlich weltweit Schlagzeilen gemacht hatte, als er alle 14 Achttausender in nur etwas mehr als sechs Monaten bestiegen hatte – versteht die Aufregung über die Aktion nicht. Sie habe „definitiv die Beziehung zwischen Nepal und Kuwait gestärkt“, ließ Nims über die sozialen Netzwerke wissen.
Jeder nehme doch irgendwelche Flaggen mit auf den Gipfel, so Purja: „Ich entschuldige mich dafür, dass unsere definitiv größer war. Im Gegensatz zu vielen anderen haben wir jedoch da oben keine Spur hinterlassen.“ Die kuwaitische Flagge sei komplett wieder ins Tal gebracht worden, sagt der 36-Jährige und fügte hinzu: „Die Mission hat den Aufstieg von niemandem behindert. Wir haben die Flagge entrollt, nachdem alle anderen Bergsteiger abgestiegen waren.“
Hillary: „Schäm dich!“
Alexander Hillary, Enkel des Everest-Erstbesteigers Edmund Hillary, war gleichzeitig an der Ama Dablam und widersprach Purja auf Facebook. Er habe gehört, dass andere Bergsteiger aufgefordert worden seien, aus dem Bild zu verschwinden, als Nims‘ Team die Flagge vom Hubschrauber aus gefilmt habe. „Und nicht nur das. Du und deine Kunden verließen das Ama (Dablam) Basislager, bevor dein erschöpftes Sherpa-Team, das die 25 Kilo schweren Fahnenstücke trug, wieder nach unten kam. Ich bin entsetzt über den Mangel an Respekt, den du deinen Landsleuten und Mitarbeitern entgegengebracht hast, ganz zu schweigen von der unangemessenen Platzierung einer ausländischen Flagge auf der Ama Dablam. Schäm dich!“ Das nepalesische Tourismusministerium untersucht den Vorfall. Das Expeditionsteam habe keine Genehmigung gehabt, eine so große Flagge zu entrollen, sagte ein Vertreter des Ministeriums der „Nepali Times“.
Büchse der Pandora geöffnet?
Mit Ruhm hat sich Purja mit der Flaggenaktion keineswegs bekleckert. Möglicherweise hat er sogar die Büchse der Pandora geöffnet. Wie lange dauert es wohl, bis auch vom Gipfel des Everest eine Mega-Fahne eines Staates oder eines Sponsors weht? Wer bitte braucht so etwas, mit Ausnahme geltungssüchtiger Politiker oder Geschäftemacher? Ich selbst bewunderte am Montag vergangener Woche noch vom nahe gelegenen Kloster Tengboche aus die Ama Dablam im ersten Tageslicht – ganz ohne Flagge. Was für ein schöner Berg! Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Einen Tag später hätte ich mich aufgeregt.
Ich war mit Pemba Sherpa aus Phortse am 11.11.2019 um 08.00 Uhr auf dem Gipfel der Ama Dablam. Bei unserem Rückmarsch
konnten wir vom Kloster Tengpoche (war gerade eine 2 tägige Zeremonie) die Fahne sehen. Als mir Pemba das Gewicht der Fahne nannte und das Sherpas diese hochgetragen hatten, war ich schon etwas nachdenklich. Aber bei den Sherpas war Verständnis für die Aktion vorhanden.