Stildebatte nach Wintererfolg am Manaslu

Manaslu (Mitte) und Pinnacle East (r.)

Nach dem Winter-Gipfelerfolg am Manaslu ist eine Stil-Debatte ausgebrochen. Wie viel ist Alex Txikons Aufstieg ohne Flaschensauerstoff wert, wenn seine sechs nepalesischen Teamgefährten Atemmasken nutzten, fragen die einen. Andere kritisieren, dass Tenjen Sherpa, Pasang Nurbu Sherpa, Mingtemba Sherpa, Chhepal Sherpa, Pemba Tashi Sherpa und Gyalu Sherpa (mit Flaschensauerstoff) die Hauptarbeit geleistet hätten und deshalb an erster Stelle genannt werden müssten – vor dem Spanier. 

Hut ab vor der Leistung!

Ich finde, es gehört sich, zunächst einmal den Hut vor der sportlichen Leistung des Teams zu ziehen. Einen Achttausender im Winter zu besteigen – bei teilweisen starken Böen, niedrigem Luftdruck und Temperaturen von bis zu minus 45 Grad Celsius – ist alles andere als ein Sonntagsspaziergang. Ganz besonders, wenn man dabei, wie Txikon, auf Flaschensauerstoff verzichtet. Die sechs Sherpas und Alex hatten den Mut, ein relatives kurzes Fenster mit stabilen Wetterverhältnissen für ihren Gipfelversuch zu nutzen. Von Lager 3 auf rund 6800 Metern, dem eigentlich vorletzten Höhenlager, stiegen sie in einem Zug bis zum höchsten Punkt auf 8163 Metern und anschließend ganz hinunter ins Basislager.

Wie schmal der Grat zwischen Triumph und Tragödie war, beleuchtet ein Zwischenfall, von dem Txikon hinterher berichtete: Pemba Tashi rutschte mehrere hundert Meter ab und musste nach der Rückkehr nach Kathmandu im Krankenhaus behandelt werden.

Parallele zur ersten K2-Winterbesteigung

Das erfolgreiche K2-Winterteam 2021
Das erfolgreiche K2-Winterteam 2021

In den Chroniken des Achttausender-Bergsteigens wie der Himalayan Database wird Txikons Gipfelerfolg als eine Winterbesteigung ohne Flaschensauerstoff gelistet werden – ganz einfach, weil er keine Atemmaske trug. Gleiches Recht für alle. Was für Nirmal Purja bei der ersten Winterbesteigung des K2 im Januar 2021 galt, muss auch für Txikon gelten: Damals verzichtete Purja nach eigenen Angaben als Einziger auf Flaschensauerstoff, während die anderen neun nepalesischen Teammitglieder mit Atemmaske aufstiegen.

So viel aber ist auch klar: Mit dem Stil der polnischen Manaslu-Expedition 1983/84, die mit der ersten Winterbesteigung des achthöchsten Bergs der Erde durch Maciej Berbeka und Ryszard Gajewski endete, ist die Leistung von Txikon und Co. nicht zu vergleichen. Die polnische Expedition verzichtete komplett auf Flaschensauerstoff, es war der erste Achttausender-Wintererfolg ohne Atemmaske. Und Berbeka und Gajewski stiegen auf Reinhold Messners selten begangener Route von 1972 durch die im Vergleich zur Nordost-Route weitaus komplexere und damit anspruchsvollere Südwand zum höchsten Punkt. Das war eine Pionierleistung.

Nicht bahnbrechend neu

Und genau das ist meiner Ansicht auch weiterhin zwingend nötig, um in die Geschichtsbücher des Alpinismus zu gelangen. Vielen der vermeintlichen oder tatsächlichen Achttausender-„Rekorde“, die in den vergangenen Jahren vermeldet wurden, mangelte es an eben diesem Pioniergeist. Häufig wurde die inzwischen perfekte Infrastruktur der kommerziellen Expeditionen genutzt: Hubschrauber für Anreise und Materialtransport, mit Fixseilen gesicherte Normalrouten, massive Sherpa-Unterstützung.  

Manaslu Team um Alex Txikon
Starkes Manaslu-Team

Um nicht falsch verstanden zu werden, sage ich noch einmal ganz klar: Der Wintererfolg der sechs Sherpas und Alex Txikons hat eine andere, höhere Qualität und war eine bärenstarke Leistung, die absolut Respekt verlangt. Dennoch fehlt ihr meiner Einschätzung nach das bahnbrechend Neue, um wirklich „historisch“ genannt zu werden. Der Umstand, dass es sich um die erste erfolgreiche Manaslu-Winterexpedition handelte, die komplett im kalendarischen (und nicht – wie die polnische Expedition – zu Beginn im meteorologischen) Winter lag, ist mir dafür zu dünn.

Offen kommuniziert

Respekt gebührt Txikon aber auch für seine offene Kommunikation, was ihn von manch anderen Profibergsteigern wohltuend unterscheidet. Alex spielte sich nach dem Erfolg nicht in den Vordergrund, sondern betonte, dass es sich um eine Teamleistung gleichberechtigter Bergsteiger gehandelt habe. Auch, dass Flaschensauerstoff und Fixseile bei der Expedition zum Einsatz kamen, verschwieg der Baske nicht.

Bereits bei seinen drei gescheiterten Winterversuchen am Mount Everest hatte Txikon keinen Hehl daraus gemacht, dass er gemeinsam mit nepalesischen Bergsteigern unterwegs war, die Flaschensauerstoff nutzten, und dass nur er selbst unbedingt ohne Atemmaske aufsteigen wollte.

7 Antworten auf „Stildebatte nach Wintererfolg am Manaslu“

  1. Ich hatte mich diesbezüglich bereits geäußert und finde deine Schilderung und Sicht völlig richtig. LG

  2. Ich stimme Dir in Deinem ausgewogenen Urteil voll und ganz zu, Stefan !
    Und ich erlauben mir, hier auf eine Lektuere hinzuweisen, die ich als sehr anregend empfunden habe und bei der es auch darum geht, was der naechste Schritt ist, was neu ist und was als Pionierleistung anerkannt werden kann: Die kleine Geschichte des Bersteigens von Malte Roeper.

  3. Klar, die polnische Wintererstbesteiger-Expedition hat eine echte Pionierleistung vollbracht. ABER man muss bedenken, dass sie bereits Anfang Dezember am Berg waren und deswegen das gute Dezember Wetter zur Arbeit am Berg nutzen konnten. Wie Simone Moro oft angemerkt hat, ist das Wetter im Dezember in Nepal bis zum kalendarischen Winterbeginn oft sehr gut mit wenig Wind viel Sonne etc. Alex Txikon und das Team mussten die Route also bei schwierigeren Bedingungen einrichten.
    Bezüglich No-O² Besteigungen könnte man ja die Kategorie supported einführen, wenn Begleiter am Berg mit O² unterwegs waren.

  4. Nicht ganz untergehen sollte aber, dass laut der FAZ es mal wieder, wie schon so oft, der Metereologe Charly Gabl war, der ihnen den entscheidenden Hinweis gab, wann der optimale Tag zur Besteigung mit wenig Wind sein wird, nachdem 2 Tage zuvor noch Windgeschwindigkeiten von 160 km/h am Gipfel tobten. Auch diese Leistung ist zumindest für mich beeindruckend.

    1. Soviel ich weiss – ist Charly längst aus der Szene ausgestiegen !!! Also was soll das mit der FAZ ???

      1. Lieber Rolf, Karl Gabl ist zwar seit einigen Jahren im Ruhestand, versorgt aber nach wie vor einige Profibergsteiger mit seinen Wetterprognosen.

Kommentare sind geschlossen.

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