Gelje Sherpa will in diesem Winter zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Der 29-Jährige will eine für kommerzielle Expeditionen taugliche neue Route auf der nepalesischen Seite des 8188 Meter hohen Cho Oyu eröffnen und damit gleichzeitig seinen 13. Achttausender besteigen. Sollte es ihm gelingen, würde ihm nur noch der Broad Peak in Pakistan in seiner Sammlung fehlen. Gelje hat damit gute Chancen, seinen nepalesischen Landsmann Mingma „David“ Sherpa als jüngsten Bergsteiger abzulösen, der auf allen Achttausendern gestanden hat. „Das wäre für mich das Tüpfelchen auf dem i“, schreibt mir Gelje. „Das würde meiner Karriere in den Bergen einen Schub verleihen und sicher viele neue Möglichkeiten eröffnen.“
Fünf Jahre lang Icefall Doctor
Seine Bergkarriere begann mit 14 Jahren, als Küchenjunge am Sechstausender Mera Peak. Mit 16 wurde Gelje Lastenträger. Fünf Jahre lang arbeitete er in dem gefährlichen Job als „Icefall Doctor“, gehörte also zu dem Team hoch spezialisierter Sherpas, das Jahr für Jahr die Route durch den Khumbu-Eisfall präpariert und während der Everest-Klettersaison instand hält. Inzwischen ist Gelje, der sich selbst „Mountain Tiger“ (Bergtiger) nennt, ein gefragter Bergsteiger bei ambitionierten Projekten und Expeditionen.
Wintererstbesteiger des K2
2017 und 2018 gehörte er zum Team des Spaniers Alex Txikon bei dessen gescheiterten Winterversuchen am Everest, 2019 am K2. Anschließend begleitete Gelje seinen nepalesischen Landsmann Nirmal Purja während dessen Achttausender-Rekordjagd auf insgesamt acht Gipfel. Im vergangenen Januar gehörte der „Mountain Tiger“ zu den zehn nepalesischen Wintererstbesteigern des K2. Im Frühjahr bestieg er erst den Lhotse (nach seinen Angaben am 11. Mai um 13.41 Uhr Ortszeit), dann zum zweiten Mal in seiner Karriere den Everest, im Herbst zum vierten Mal den Manaslu. Anschließend führte er die taiwanesische Kundin Tseng Ko-Erh (auch „Grace“ Tseng genannt) auf den Gipfel des Kangchendzönga. Es war die einzige Besteigung des dritthöchsten Bergs der Erde in diesem Herbst.
Tibetische Seite gesperrt
Das Projekt, eine Route für kommerzielle Teams auf der nepalesischen Südseite des Cho Oyu zu eröffnen, steht seit 2020 im Raum. Eine erste Initiative der nepalesischen Bergsteigerin Maya Sherpa war jedoch bei der Regierung auf wenig Gegenliebe gestoßen. Die Normalroute auf den Cho Oyu liegt auf der tibetischen Seite des Bergs. In den vergangenen Jahren hatten die Behörden dort die Preisschraube für den Cho Oyu drastisch angezogen und Permits nur sehr restriktiv ausgegeben. So hatten sie den Berg im Herbst 2019 ab dem 1. Oktober für ausländische Bergsteiger gesperrt, 2020 und 2021 wegen der Corona-Pandemie sogar komplett. Auch im Frühjahr 2022 werden wohl keine ausländischen Bergsteiger nach Tibet einreisen dürfen.
„Es wird Zeit“
Wer den Cho Oyu besteigen will, hat also derzeit nur zwei Optionen: entweder abwarten oder es auf der nepalesischen Seite des Bergs zu versuchen. Die Südseite am Ende des Gokyo-Tals gilt jedoch als technisch anspruchsvoll und lawinengefährdet. Der erste Erfolg über diese Seite gelang im Herbst 1978 den beiden Österreichern Eduard Koblmüller und Alois Furtner, die (ohne Permit) durch die Südostwand stiegen. Bis heute wurde diese Route nie wiederholt. Die letzte erfolgreiche Besteigung des Cho Oyu von Nepal aus liegt zwölf Jahre zurück: Im Frühjahr 2009 eröffneten die beiden Kasachen Denis Urubko und Boris Dedeshko eine neue Route durch die Südwand. „Es wird Zeit, die sicherste Alternativroute von Nepal aus zu finden“, schreibt mir Gelje Sherpa. „Es dürfte herausfordernd werden, aber wir werden unser Bestes tun, diese sicherste Route zum Gipfel zu finden, damit viele Bergsteiger von Nepal aus aufsteigen können.“
Auf Sponsorensuche
Gelje will ein Team erfahrener nepalesischer Bergsteiger um sich scharen. Sollte es ihnen gelingen, den Gipfel zu erreichen, wären sie nach 14 ausländischen Bergsteigern die ersten Nepalesen, die im Winter auf dem Cho Oyu stehen. Die Expedition soll am 15. Januar beginnen – wenn das nötige Geld dafür da ist. „Die Finanzierung ist eine Riesenaufgabe für mich. Ich bekomme nirgendwo richtige Unterstützung, nur einzelne Bergsteiger greifen mir finanziell unter die Arme“, sagt der zweifache Vater. „Ich habe vor, bei der Regierung und dem nepalesischen Bergsteigerverband NMA anzufragen und hoffe, dass ich eine positive Antwort bekomme.“ Außerdem hat der Sherpa eine Spendenaktion im Internet gestartet (wenn du hier klickst, gelangst du dorthin).
Er wolle von Westen her in die Südwand des Cho Oyu einsteigen, verrät Gelje: „Nicht von der Gokyo-Seite, sondern von der Seite des Nangpa La (Pass zwischen Nepal und Tibet) aus.“ Ich frage nach: über die Flanke des Siebentausenders Nangpa Gosum, der über einen Grat mit dem höchsten Punkt des Cho Oyu verbunden ist? „Yep“, antwortet Gelje.
Update 29. Dezember: Gelje Sherpa hat bekanntgegeben, dass die Cho-Oyu-Expedition nun am 20. Januar beginnen wird und dass sein nepalesisches Team aus 14 Personen bestehen wird.