Willi Steindl zur ausgebliebenen Bergung von Muhammad Hassan am K2: „Man muss es halt wollen“

Willi Steindl mit der Familie Muhammad  Hassans
Willi Steindl mit der Familie Muhammad Hassans

Der Tod des pakistanischen Hochträgers Muhammad Hassan Ende Juli im oberen Bereich des K2 sorgt weltweit für Diskussionen. Vor allem zwei Fragen beschäftigen auch Menschen, die sich eigentlich kaum oder gar nicht für Bergsteigen interessieren. Wie konnten Dutzende Bergsteigerinnen und Bergsteiger am zweithöchsten Berg der Erde einfach über Hassan hinwegsteigen, obwohl er offensichtlich noch lebte? Warum versuchte niemand, ihn von der Unglücksstelle oberhalb des sogenannten „Flaschenhalses“ – einer extrem steilen Passage auf 8200 Metern, direkt unterhalb riesiger überhängender Gletschertürme – hinunterzubringen?

Der Österreicher Wilhelm Steindl hat die Diskussion mit angestoßen. Er gehörte zum Team des Expeditionsveranstalters Furtenbach Adventures, das wegen zu großer Lawinengefahr unterhalb des Flaschenhalses umdrehte. Steindl und der deutsche Kameramann Philip Flämig sichteten später Video-Material, das Flämig mit einer Drohne aufgenommen hatte. Sie sahen darauf, dass Hassan offenkundig auch noch Stunden nach seinem Unfall lebte, während zahlreiche Bergsteigerinnen und Bergsteiger an ihm vorbei gingen oder über ihn stiegen. Steindl und Flämig besuchten nach dem Ende der Expedition Hassans Familie und überbrachten den Hinterbliebenen Geld, das sie gesammelt hatten. Steindl hat inzwischen eine Internet-Spendenaktion (hier klicken) gestartet, um der Familie des verstorbenen Trägers auch in der Zukunft finanziell unter die Arme zu greifen.

In Kirchberg in Tirol führt Steindl ein Hotel. Bis zu seinem 18. Lebensjahr fuhr er Autorennen. „Dann scheiterte meine Rennfahrer-Karriere, weil Sponsoren fehlten“, erzählt mir Willi. Ich habe mit dem österreichischen Bergsteiger, der an diesem Samstag 31 Jahre wird, über den Gipfeltag am K2 gesprochen.

Willi, wie hast du persönlich die Situation im Gipfelbereich des K2 an jenem 27. Juli erlebt?

Im Aufstieg zum K2
Im Aufstieg zum K2

Meiner Meinung nach war die Situation einfach zu gefährlich. Es hatte in den Tagen zuvor unerwartet viel geschneit. Und das Wetter war schlechter als vorhergesagt. Das Problem war zudem, dass zu viele Leute unterwegs waren, weil es sich auf diesen einen Gipfeltag kanalisiert hat. Als wir unterhalb des Flaschenhalses ankamen, haben wir gesehen, dass es sich in der Traverse staut. Als dann auch noch eine Lawine vor unseren Augen abging und wirklich knapp viele Bergsteiger verfehlte, war es aus unserer Sicht viel zu gefährlich, dort hochzusteigen.

Es fehlte nicht viel zu einer großen Katastrophe.

Im ersten Augenblick habe ich gefürchtet, dass rund 30 Menschen ums Leben gekommen wären. Die Lawine, die ja noch in der Nacht niederging, hat so viel Staub aufgewirbelt, dass wir eine Minute lang die Stirnlampen der Bergsteiger nicht mehr gesehen haben. Ich dachte, die Lawine hätte die Leute mitgerissen. Als sich der Schneestaub gesetzt hatte, sah ich, dass schätzungsweise 30 Leute abstiegen. Die anderen gingen unbeirrt weiter.

Eure Gruppe von Furtenbach Adventures ist abgestiegen. Wie hast du vom Tod des pakistanischen Hochträgers Muhammad Hassan erfahren?

Beim Abstieg hat uns in Lager 2 (auf 6700 Metern) ein Sherpa, der ein Funkgerät hatte, berichtet, dass in der Traverse oberhalb des Flaschenhalses jemand gestorben sei. Es hat für uns vieles erklärt, weil wir zunächst den Stau in der Traverse nicht verstanden hatten. Nach der Lawine war dort anderthalb Stunden lang niemand auch nur einen Meter weitergegangen. Nach unserer Rückkehr ins Basislager haben wir Philip Flämigs Drohnen-Filmmaterial gesichtet und eigentlich per Zufall entdeckt, dass dort ein Mensch lag, der noch gelebt hat, und die Leute über ihn drüber- oder an ihm vorbeistiegen.

Der Flaschenhals gilt als gefährlichste Stelle der Route. Manche sagen, sie sei so gefährlich, dass dort eine Rettung nicht möglich. Wie siehst du das?

Blick von der K2-„Schulter“ auf den „Flaschenhals“

Natürlich ist dort eine Rettung möglich – genauso wie am Gipfelgrat des Mount Everest. Man muss es halt wollen und die Manpower und Kraft aufbringen, um jemand von dort herunterzuziehen. Es braucht dafür drei, vier oder fünf Leute. Und alle, die dahinter folgen, müssen umdrehen und den Weg freimachen. Dann könnte man einen Verletzten zumindest nach Lager 4 (auf 7600 Metern) herunterbringen und versuchen, ihn dort in einem Zelt mit Sauerstoff zu versorgen und aufzuwärmen. Keine Ahnung, ob er (Muhammad Hassan) es überlebt hätte, aber es ist ja nicht mal probiert worden, eine Rettungsaktion einzuleiten.

Rund 100 Menschen waren an diesem Tag am Gipfel und müssen mindestens einmal über den pakistanischen Bergsteiger gestiegen sein. War das im Basislager kein Thema?

Na ja, die Leute waren damit beschäftigt, den Gipfelsieg zu feiern. Mit uns hat man darüber nicht geredet. Wir haben das Ganze auf dem Rückweg in die Zivilisation vom Basislager nach Askole (Dorf am Eingang des Baltoro-Gletschertals) aufgearbeitet. Und dabei sind immer mehr Informationen aufgepoppt.

Kristin Harila, die, geführt von Tenjen Sherpa, alle 14 Achttausender in 92 Tagen bestieg, hat sich nach tagelangem Schweigen zu dem Todesfall geäußert. Sie und ihr Team hätten alles getan, was möglich gewesen wäre, um Hassan zu retten, schrieb die Norwegerin, und dass niemand eine Schuld an seinem Tod trage. Wie siehst du das?

Ich will Kristin Harila nicht verurteilen. Aber vor Ort war die Empathie anscheinend nicht so groß. Während wir zu Hassans Familie gefahren sind, ist sie per Hubschrauber über unsere Köpfe hinweggeflogen. Wenn man weiß, dass so ein Flug rund 10.000 Dollar kostet, finde ich das schon ein bisschen makaber. Aber das muss Harila mit sich selbst abmachen.

Sie schrieb, dass Hassan ohne Daunenanzug und ohne Atemmaske unterwegs gewesen sei. Das muss doch vorher auch schon aufgefallen sein. Sagt da niemand etwas?

Auch in dem Punkt gibt es verschiedene Aussagen. Da sagt jeder etwas anderes. Angeblich hatte er eine Atemmaske dabei, die beim Sturz gebrochen ist. Aber wir waren nicht so nahe dran, um diese Details zu beurteilen. Ich kann nur bestätigen, dass er noch gelebt hat, dass die Leute über ihn drübergestiegen sind und keine Rettungsaktion eingeleitet haben.

Du hast im vergangenen Jahr den Mount Everest bestiegen. Auch dort waren hunderte Bergsteiger unterwegs. Wehte dort derselbe oder ein anderer Geist wie jetzt am K2?

Willi Steindl jockt auf einem verschneiten Steinhügel, im Hintergrund der K2
Willi und der K2

Am Everest ist es komplett anders, viel professioneller. Da gibt es eigene Rettungsteams, die in Lager 4 (auf knapp 8000 Metern) für Notfälle abgestellt werden. Am Everest würde so etwas nicht passieren. Das würde viel zu viele negative Schlagzeilen produzieren. In Pakistan kann so etwas passieren, weil die pakistanischen Hochträger, auch wenn es einige sehr gute gibt, teilweise schlecht ausgebildet und schlecht ausgerüstet sind. Sie lassen sich auf diese gefährliche Arbeit in der Hoffnung ein, dass sie viel Geld verdienen.

Aber auch am Everest kommt es vor, dass Leute an Bergsteigern in Not, die neben der Route hocken, vorbeilaufen.

Ja, das mag vorkommen. Aber am Everest werden Rettungsaktionen eingeleitet, egal wer einen Unfall hat.

Du hast nach dem Unglück im Basislager Geld für Hassans Familie gesammelt und die Hinterbliebenen im Bergdorf Tissar im Shigar-Tal nahe der Stadt Skardu besucht. Was hat seine Witwe über Muhammads bergsteigerische Ausbildung erzählt?

Sie hat erzählt, dass er ein normaler Porter war. Die Träger arbeiten zwischen Askole und dem K2-Basislager und tragen Expeditionsgepäck, Nahrungsmittel und alles, was man sonst noch auf Expeditionen braucht. Er war das erste Mal am K2 als Hochträger im Einsatz, um Geld für die drei Kinder anzusparen, damit sie eine Schulausbildung erhalten und ein besseres Leben haben.

Normalerweise sind High Altitude Porters in Pakistan mit rund 1500 Dollar für den Todesfall versichert. War das bei Hassan auch so?

Laut Aussagen der Witwe war Muhammad nicht versichert, und sie bekommen kein Geld.

Dementsprechend verzweifelt war sie wahrscheinlich auch.

Sie war sehr verzweifelt. Zwei Kameramänner waren mit mir bei der Familie: Martin Stoni und Philip Flämig. Ich habe bei der Familie gesessen und sie beobachtet. Die beiden haben fast zwei Stunden durchgeweint. Der Anblick der Familie war so herzzerreißend, und was die Witwe erzählt hat, noch viel mehr.  

Was geht in dir vor, wenn du in den sozialen Medien siehst, wie diejenigen, die am 27. Juli am Gipfel waren, gefeiert werden, ohne dass der Tod Hassans überhaupt erwähnt wird?

Mir ist das komplett egal. Ich konzentriere mich darauf, der Familie zu helfen, dass wir aufklären und in der Zukunft bessere Bedingungen im Karakorum schaffen.

Hast du nach den Erlebnissen am K2 die Nase voll von den Achttausendern?

Lächelnder Willi Stendl, im Hintergrund Gebirge
Willi Steindl liebt die Berge

Ich liebe die Natur dort, ich liebe diese Bergwelt. Auf dem Baltoro-Gletscher hineinzuwandern, gehörte zum Beeindruckendsten und Schönsten, was ich bisher erlebt habe. Ich war super vorbereitet, habe mich dort oben gewissenhaft entschieden umzukehren. Ich habe eine Expedition gebucht, die wirklich verantwortungsbewusst mit dem CO2-Fußabdruck, mit der Müllentsorgung, mit Versicherung und Bezahlung der Sherpas und Hochträger umgeht. Ich kann mir, ehrlich gesagt, relativ wenig vorwerfen. Ob ich wieder einen Achttausender angehe, weiß ich noch nicht. Aber ich werde den Bergen treu bleiben, weil es meine große Leidenschaft ist, sie zu besteigen.

Aber das Erlebte am K2 wird dich sicher lange beschäftigen.

Ja, vor allem die Bilder. Die mentale Aufarbeitung ist ein Prozess, der jetzt beginnt und voraussichtlich mehrere Monate dauert. Das war auch nach dem Everest so und wird jetzt sicher schlimmer sein.

10 Antworten auf „Willi Steindl zur ausgebliebenen Bergung von Muhammad Hassan am K2: „Man muss es halt wollen““

  1. … ehrliches Interview von beiden Seiten … ob im gegebenen Fall (!!!!) eine Rettung wirklich möglich gewesen wäre – bezweifle ich – dass man (?) den Hochträger in dieser Konstellation (!!!) überhaupt aufsteigen ließ, ist das wahre Verbrechen. Letztendlich und vielleicht zum Unterschied # Everest # ist das so oft gebrauchte Wort Restrisiko falsch – es müsste mit dem Wort RISIKO in der Todeszone beschrieben werden … Wer es bewusst (nicht so wie der Hochträger) eingeht, muss mit dem Folgen ‚ leben ‚ und sollte nicht bemitleidet werden`. Im verrückten Auto Racing ist das gang und gäbe !

  2. Der Rekord der Dame entspricht leider dem Zeitgeist. Mit Bergsteigen, Minimalismus und Natur hat das wenig zu tun.
    Hier geht es um Schlagzeilen. Die Dame hat auf jedem Gipfel mit ihren 20 Werbelogos auf der Jacke das Gleiche gesagt: total langweilig! Meine Sicht, liebe Sponsoren! Es darf natürlich jeder anders sehen. Ihre Leistung ist auch mit Sauerstoff, Träger und Heli-Shuttel beachtlich aber eben für mich total irrelevant und nicht nachhaltig.

    Wie man über den Verletzen Träger gestiegen ist und danach den Rekord gefeiert hat ist ekelhaft. Mir ist bewusst, dass man den Mann dort oben nicht einfach runter tragen kann und das jeder das Risiko kennen muss. Shit happens! Aber darum geht es gar nicht.

    Es geht um Respekt und Menschlichkeit!

  3. Es ist immer tragisch, wenn ein Mensch beim Bergsteigen stirbt. Ich habe mir das Video mal angesehen, als Kardiologe und Intensivmediziner und Höhenmediziner mit langjähriger Höhenerfahrung in extremen Höhen würde ich nie mit der hier gemachten Sicherheit sagen, der lebte noch, das ist einfach nur unehrlich! Hier werden Behauptungen von Leuten aufgestellt, die zum Zeitpunkt des Unfalls nicht vor Ort waren. Es ist im Gelände auch für Fachleute oft schwer sicher zu entscheiden, ob ein bewusstloser Patient noch lebt.
    In dieser Ausgesetztheit und Höhe das mit angeblicher Sicherheit zu behaupten zu können ist nicht möglich. Anhand des Videomaterials das hier absolut sicher feststellen zu wollen, ich könnte es definitiv nicht. Dafür fehlen einfach alle erforderlichen medizinischen Fakten und Beweise.

    1. Fürr wen arbeiten Sie?ä üblicherweise als Höhenmediziner und warum posten Sie das? Sie sind ja nicht der einzige Höhenmedizner, der das liest.

  4. Die erste Frage ist doch, was eigentlich das eigene Team des pakistanischen Hochträgers getan hat, um sein Leben zu retten. Denn auf einer Höhe von 8.200 m dürfte er wohl kaum allein unterwegs gewesen sein. Welche Agentur hat ihn beschäftigt, und wer waren die Teilnehmer seiner Expedition? Warum hat ihm niemand von seinem Team geholfen? Wenn jemandem Vorwürfe zu machen sind, dann doch wohl zuerst an die Adresse derjenigen, die mit ihm aufgestiegen sind, Von denen ist aber nie die Rede. Warum nicht?

  5. Ich dachte die Traverse waere OBERHALB des Flaschenhalses und nicht darunter !!! „dass in der Traverse unterhalb des Flaschenhalses jemand gestorben sei.“

  6. Lieber Stefan,
    wenn laut Video das die Stelle des Absturzes sein soll dann kann etwas nicht stimmen.
    Er befindet sich direkt unter dem Serac und müsste bei einem Absturz doch weit darunter sein, oder?
    Kann es auch sein das er an Erschöpfung starb?

    1. Angeblich rutschte er rund fünf Meter ab und hing dann kopfüber im Seil. Das Video entstand später, nachdem man ihn wieder umgedreht und heraufgezogen hatte. Was genau ihm passierte, ist nach wie vor offen. Auch die Variante höhenkrank/erschöpft ist möglich.

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