Es wirkt fast, als hätte auch der Wettergott die Nase voll von all den Lügen, Halbwahrheiten und Vertuschungen im Zusammenhang mit dem Corona-Ausbruch im Everest-Basislager. Ein Zyklon, der sich an der Westküste Indiens austobt, sorgt dafür, dass es auch am Mount Everest in den nächsten Tagen schneit und kräftig windet. Das ursprünglich für Mitte der Woche erwartete nächste Schönwetter-Fenster fällt wohl flach – und damit zunächst auch die zweite große Gipfelwelle. Erst gegen Ende der Woche soll der Wind wieder abflauen.
Am Samstag hatte Lukas Furtenbach – wie berichtet – die Mauer des Schweigens durchbrochen und Tacheles geredet. Der Österreicher brach seine Expedition mit sofortiger Wirkung ab und verwies auf die eskalierende COVID-19-Situation im Basislager: „Wir alle wissen, dass wir einen massiven Ausbruch im Basislager haben. Alle Teams. Die (Hubschrauber-) Piloten wissen es, die Versicherungen wissen es, die HRA (die Himalayan Rescue Association, die im Basislager eine Krankenstation betreibt) weiß es. Trotzdem Leute hochzuschicken, ist rechtlich gesehen fahrlässig und moralisch gesehen unmenschlich.“ Furtenbach erklärte, dass Bergsteiger, die sich angesteckt hätten, erst einige Tage später in Lager 3 auf knapp 7200 Metern oder noch höher Symptome zeigen könnten, wie Fieber und Atemprobleme. Dies könne sich zu einem „wirklich ernsten Problem“ ausweiten, bis hin zum Tod.
Partys im Basislager, keine Tests
Die anderen Expeditionsleiter im Everest-Basislager scheint das nicht zu scheren. Bislang folgte niemand der Entscheidung Furtenbachs. Stattdessen musste sich der Österreicher Vorwürfe anhören, „dass wir zu schwach seien und jetzt COVID vorschieben“. Auch die Nachricht über das vorzeitige Ende der chinesischen Expedition auf der tibetischen Nordseite führte offenbar nicht dazu, dass irgendwer noch einmal in sich ging und darüber nachdachte, ob das eigene Verhalten noch verantwortbar ist. Die chinesisch-tibetischen Behörden hatten zur Begründung ausdrücklich auf die Corona-Lage auf der nepalesischen Südseite des Everest hingewiesen.
Sein Vorschlag, nach den ersten COVID-19-Fällen das komplette Basislager durchtesten zu lassen, sei ignoriert worden, sagt Lukas Furtenbach. „Wir testeten noch mehr, während andere nie mit dem Testen begannen oder es einstellten, nachdem zu viele Sherpas oder Mitglieder positiv getestet worden waren.“ Ebenso grob fahrlässig sind die trotz Corona-Gefahr andauernden Partys im Basislager, auf die Furtenbach hinwies. Fotos und Videos, die in den sozialen Netzwerken kursieren, bestätigen seine Angaben: feiernde Bergsteiger, ohne Masken, ohne Sicherheitsabstände.
Schon mehr als 5200 Tote
Das alles vor dem Hintergrund des Corona-Dramas, das sich derzeit in Nepal abspielt – nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Land. Am Montag registrierten die Behörden 9198 neue COVID-19-Infektionen. Aktuell gibt es in dem Himalayastaat mehr als 110.000 Fälle. Nach wie vor fehlt es in den Krankenhäusern im ganzen Land an Betten und Sauerstoff, um die schwerkranken Patienten zu behandeln. Seit Beginn der Pandemie wurden in Nepal knapp 465.000 Infektionen gezählt, 5215 Menschen starben an COVID-19. Die Dunkelziffer dürfte angesichts fehlender Testkapazitäten hoch sein.
Und was sagt die nepalesische Regierung zu den Vorgängen am Mount Everest? Das Tourismusministerium, das fahrlässigerweise trotz Pandemie für dieses Frühjahr so viele Everest-Permits (408) erteilte wie noch niemals zuvor, leugnet immer noch, dass es ein Corona-Problem in den Bergen gebe. Das ist der fast noch größere Skandal als der im Basislager. Sollte es nach den zwei Todesfällen während der ersten Everest-Gipfelwelle weitere geben, würde ich den hinterbliebenen Familien dringend raten, auf eine unabhängige Obduktion zu bestehen. Sie sollten prüfen lassen, ob COVID-19 eine Rolle spielte – und, wenn ja, anschließend die Verantwortlichen auf fahrlässige Tötung verklagen.