Big business as usual, großes Geschäft wie immer. So könnte man die zurückliegende Frühjahrssaison am Mount Everest zusammenfassen. Sie war zunächst schleppend angelaufen, weil die Icefall Doctors für ihre Arbeit im Khumbu-Eisbruch auf der nepalesischen Südseite des Bergs länger gebraucht hatten als geplant. Weniger Schneebrücken, riesige Spalten – der Klimawandel lässt auch am höchsten Berg der Erde grüßen.
Als die Route durch den Eisbruch und wenig später auch bis zum Gipfel stand, sprang die seit Jahren gut geölte kommerzielle Besteigungsmaschine wie gewohnt an: An den Schönwettertagen bildeten sich an den Schlüsselstellen lange Schlangen, und am Gipfel drängten sich zeitweise so viele Bergsteigerinnen und Bergsteiger auf engstem Raum wie bei einem Open-Air-Konzert von Madonna.
Acht Tote
Der US-Bergblogger Alan Arnette, der wie kein Zweiter alle kommerziellen Teams im Blick behält, schätzt die Zahl der Gipfelerfolge in dieser Saison auf der nepalesische Südseite auf rund 600. Acht Everest-Aspiranten bezahlten ihr Abenteuer mit dem Leben – was in etwa dem Durchschnitt der vergangenen Jahre entspricht. Alle waren mit nepalesischen Anbietern unterwegs. Zu den drei Vermissten unter den acht Opfern gehören ein britischer und ein nepalesischer Bergsteiger. Sie stürzten beim Rückweg vom Gipfel die tibetische Ostflanke des Everest hinab, als am Gipfelgrat ein Eisblock wegbrach. Die große Menge an Auf- und Absteigenden hatten ihn offenbar destabilisiert.
Elf Tonnen Müll gesammelt
Die zu große Zahl an Menschen im Basislager und am Berg bleibt die Hauptursache aller Probleme am Everest – nicht nur in puncto Sicherheit. Trotz gut gemeinter Versuche, den Everest zu säubern, wird er immer schmutziger. Müll und Fäkalien sammeln sich an. In dieser Saison brachten nepalesische Soldaten elf Tonnen Müll vom Berg, außerdem fünf Leichen, darunter eine bereits skelettierte. Seit 2019 hat die Armee des Landes nach eigenen Angaben bei ihren jährlichen Säuberungsexpeditionen insgesamt 119 Tonnen Unrat gesammelt und 14 Leichen geborgen.
Doch dies ist eine Sisyphusarbeit, wenn Frühjahr für Frühjahr rund 2000 Menschen das Basislager füllen und Hunderte die Hochlager bevölkern. Mit immer mehr Luxus, immer mehr Material, immer höherem Einsatz von Flaschensauerstoff – und auch immer mehr Personal: der Trend bei den zahlenden Kunden geht zum Zweit- oder Drittsherpa.
Neue Regeln verpuffen
Neue Regeln – wie in diesem Jahr etwa der verpflichtende Einsatz von Kotbeuteln am Berg – wirken vor diesem Hintergrund allenfalls kosmetisch. Das liegt auch daran, dass Nepal „Weltmeister“ darin ist, immer neue Vorschriften zu erlassen, anschließend aber nicht zu kontrollieren, ob sie auch eingehalten werden. Das wissen auch die schwarzen Schafe unter den Expeditionsanbietern, die sich kaum oder gar nicht um Dinge wie Umweltschutz oder Sicherheit scheren, sondern nur ihr eigenes Konto im Blick haben.
Everest lässt Kassen klingeln
Letzteres gilt offenbar auch für die Regierung in Kathmandu. Der Everest ist schließlich die Geld-Kuh, die am meisten Milch bringt. Nach dem Rekord 2023 mit 478 Permits verkaufte das Tourismusministerium in diesem Frühjahr immerhin wieder 421 Besteigungsgenehmigungen. Das bedeutete Einnahmen von mehr als 4,6 Millionen Dollar.
Und im nächsten Jahr werden die Kassen noch mehr klingeln. Dann steigt der Preis für ein Everest-Permit um rund 36 Prozent, von 11.000 auf 15.000 Dollar. Dass deswegen weniger Bergsteigerinnen und Bergsteiger zum Everest kommen werden, ist nicht zu erwarten. Bei einem Expeditionspreis – je nach Betreuungsgrat und Luxusfaktor – zwischen 35.000 und über 200.000 Dollar sind die zusätzlichen 4000 Dollar für die meisten Kunden wahrscheinlich zu verschmerzen.
Angesichts der immensen Geschäfte, die mit dem Everest gemacht werden, erscheint die Initiative des obersten Gerichts Nepals fast schon putzig: Der Supreme Court forderte Mitte Mai die Regierung auf, die Zahl der Permits aus ökologischen Gründen zu begrenzen. Die begrenzte Kapazität der Berge müsse „respektiert“ werden, hieß es. Konkreter wurde das Gericht nicht – und ließ damit erneut alle Hintertüren offen.
Einsame Nordseite
Die chinesisch-tibetischen Behörden öffneten die Everest-Tür in diesem Frühjahr erst sehr spät für ausländische Expeditionen – nach vier Jahren Unterbrechung. Drei Veranstalter mit vergleichsweise kleinen Teams hatten den langem Atem, auf die Permits zu warten und wurden mit einer einsamen Everest-Nordseite belohnt. Alan Arnette schätzt die Zahl der Gipfelerfolge dort in diesem Frühjahr auf lediglich rund 70. In China ist die Zahl der Everest-Permits auf 300 gedeckelt, Aufstiege ohne Flaschensauerstoff sind nur bis zum Nordsattel auf rund 7000 Metern erlaubt.
Alpinistisch gesehen Stillstand
Und damit kommen wir zur sportlichen Bilanz der Saison. Obwohl wieder einige Everest-Rekorde und „erste“ irgendetwas vermeldet wurden, brachte auch dieses Frühjahr am höchsten Berg der Erde den Alpinismus kein Stück weiter – weder stilistisch noch routentechnisch. Am bemerkenswertesten war noch die Leistung des Polen Piotr Krzyzowski, der ohne Flaschensauerstoff und ohne Sherpa-Begleiter innerhalb von 48 Stunden erst auf dem Lhotse und dann auf dem Everest stand. Allerdings nutzte auch er die mit Fixseilen gesicherten Normalrouten zu beiden Gipfeln.
Salto rückwärts
In den sozialen Medien lassen sich nichtsdestotrotz zahlreiche Everest-Besteigerinnen und -Besteiger feiern. Etwa für Mehrfachbesteigungen innerhalb einer Saison – wobei die übliche Unterstützung durch Sherpa(s) und Flaschensauerstoff gerne ausgeblendet wird. Oder auch für skurrile „Leistungen“ wie einen Salto rückwärts auf dem Gipfel – nach einem tiefen Atemzug aus der Sauerstoffflasche.
Oder für ein Konzert in Lager 2 auf 6400 Metern. In letztgenanntem Fall beanspruchte der nepalesische DJ immerhin einen guten Zweck für seine Aktion: Nach eigenen Worten wollte er auf die Gefahren des Klimawandels für den Himalaya hinweisen. Aber war es dafür wirklich nötig, sich in die Menschenschlangen am Everest einzureihen und nach dem Konzert auch noch auf den Gipfel zu steigen? Auch in diesem Fall gilt: Der Mount Everest ist für die meisten lediglich Mittel zum Zweck – für was auch immer.