Den dritten Tag in Folge vermeldeten heute kommerzielle Expeditionsanbieter Gipfelerfolge von der Annapurna I im Westen Nepals. Unter denen, die an diesem Montag – mit Flaschensauerstoff und Sherpa-Unterstützung – den Gipfel erreichten, waren zwei weitere Vertreter der jungen Bergsteiger-Generation Pakistans.
Naila Kiani stand als erste Frau des Landes auf der Annapurna I. Für sie war es der vierte Achttausender nach dem Gasherbrum I (2021), dem K2 und dem Gasherbrum II (beide 2022). Naila, eine ehemalige Amateurboxerin, studierte in Großbritannien Flugzeugtechnik und arbeitete später in Dubai als Bänkerin. Mit ihrem Mann und ihren beiden kleinen Töchtern lebt sie seit Jahren in dem Golfstaat. In diesem Frühjahr will sie versuchen, nach der Annapurna auch den Mount Everest und den Lhotse zu besteigen.
An diesem Donnerstag, dem 1. Dezember, beginnt der meteorologische Winter. Und wieder zieht es Gelje Sherpa zum 8188 Meter hohen Cho Oyu. Der 30-Jährige Nepalese will erneut versuchen, den sechsthöchsten Berg der Erde über dessen nepalesische Südseite zu besteigen. Mit dabei wird wohl auch die Norwegerin Kristin Harila als seine Kundin sein. Das bestätigte Gelje mir gegenüber: „Ja, ich habe vor, mit ihr zusammen [zum Cho Oyu] zu gehen.“
Marek Holecek (l.) und Radoslav Groh (r.) im Zelt am Masherbrum
Bis 7300 Meter und keinen Schritt weiter. „Wir hatten keine andere Wahl als umzukehren“, schreibt Marek Holecek auf Instagram. Der 47 Jahre alte Tscheche und sein 33 Jahre alter Landsmann Radoslav Groh hatten versucht, am selten bestiegenen Masherbrum im Alpinstil eine neue Route zu eröffnen.
„Alles, was höher lag, war jenseits unserer Fähigkeiten. Die Bedingungen, die sich uns jenseits der Westkante boten, können als katastrophal bezeichnet werden. Als wir von der Nordseite zur Ostseite aufstiegen, verwandelte sich der Schnee in klebrigen Puderzucker. Lockeres, getrocknetes weißes Zeug, das aus unerfindlichen Gründen in der Rinne und am Fels kleben bleibt. Sobald man ihn berührt, fällt er in großen Klumpen über zweitausend Meter hinunter auf den Gletscher.“
Marek Holecek ist nicht um originelle Bilder verlegen, wenn er die Schwierigkeiten bei seinen extremen Klettertouren beschreibt. Wie jetzt am 7821 Meter hohen Masherbrum im Karakorum in Pakistan. „Selbst eine Pferdekutsche würde in diesem Terrain müde werden“, schreibt der tschechische Bergsteiger heute auf Instagram. „Wir kommen nur im Schneckentempo voran und hoffen, dass sich die Schneeverhältnisse mit zunehmender Höhe verbessern.“
Tiefer und lockerer Schnee habe ihnen die Kräfte geraubt, so der 47-Jährige. „Das Wetter zwang uns am Nachmittag ins Zelt, da wir durch den Nebel nicht bis zur Nasenspitze sehen konnten und es leicht zu schneien begann.“ Holecek und sein Teampartner Radoslav Groh werden ihr inzwischen sechstes Biwak nach eigenen Angaben auf einer Höhe von 6800 Metern verbringen.
Bedrohte Idylle: Die „Märchenwiese“, im Hintergrund der Nanga Parbat
Es war einmal. Die Märchenwiese am Nanga Parbat hat ihr Märchenhaftes verloren. „Inzwischen gibt es 25 Hotels auf der Märchenwiese, und es sind dort so viele Menschen, dass es mit der Ruhe vorbei ist. Fußlahme, ihre Handys in der Hand, werden auf Pferden hinaufgebracht, manchmal mehr als 600 an einem Tag“, schreibt Michael Beek auf Facebook, nachdem er von einer seiner vielen Pakistanreisen zurückgekehrt ist. „Überall auf dem Weg liegt Plastikmüll, Trinkflaschen werden einfach in den Rakhiot-Fluss geworfen, niemand kümmert sich darum. Das macht mich traurig.“
John Snorri Sigurjonsson (1973-2021) im Sommer 2017 auf dem Gipfel des K2
Eigentlich sollte es selbstverständlich sein. Aber was ist schon selbstverständlich in Zeiten, in denen es am Berg für manche nur noch darum zu gehen scheint, es in die Schlagzeilen zu schaffen? Nicht nur die Wahrheit bleibt dabei gerne auf der Strecke, auch die Empathie. Die Familie des im Winter 2021 am K2 ums Leben gekommenen isländischen Bergsteigers John Snorri Sigurjonsson hat die Gipfelaspiranten in dieser Sommersaison darum gebeten, Pietät zu zeigen und die Leiche Johns weder zu filmen noch zu fotografieren.
Der Körper des Isländers liegt noch im Gipfelbereich, oberhalb des so genannten „Flaschenhalses“, der lawinengefährdeten Schlüsselstelle der Normalroute auf rund 8400 Metern – eingeklinkt ins Fixseil. Dass die Bitte von Sigurjonssons Familie nicht überflüssig ist, belegen die im Internet kursierenden zahllosen Bilder der Leichen von Bergsteigern, die etwa am Mount Everest ums Leben gekommen sind.
Broad Peak (mit Schatten des K 2, fotografiert 2004)
4G-Netz in den Basislagern am Mount Everest und K2 – die Bergsteigerinnen und Bergsteiger haben sich inzwischen daran gewöhnt, dass sie selbst an den beiden höchsten Bergen der Welt mit ihren Smartphones kommunizieren können. So erhalten sie auf einem einfachen und vor allem extrem schnellen Weg die neuesten Wetterberichte oder können auch per Handy innerhalb ihrer Teams Kontakt halten. Nicht wie früher mit Funkgeräten oder den erheblich teureren Satellitentelefonen. In den vergangenen Tagen meldeten jedoch Expeditionen in Pakistan Kommunikationsprobleme mit ihren Teams am Berg.
Am Achttausender Broad Peak ist der zweite Todesfall der Sommersaison im Karakorum zu beklagen. Der pakistanische Bergsteiger Sharif Sadpara stürzte vom Gipfelgrat ab und wird seitdem vermisst. Die Hoffnung, ihn noch lebend zu bergen, geht gegen Null.
Wie das Unglück am Dienstag geschah, beschrieb der österreichische Expeditionsveranstalter Furtenbach Adventures so: „Die Kommunikation (mit dem Broad-Peak-Basislager) ist immer noch schwierig und begrenzt. Aber was wir bisher wissen, ist, dass unser Team in der Nacht von Lager 3 aus gestartet ist und auch das Fixseil am Gipfelgrat gelegt hat. Es folgten Bergsteiger anderer Teams. Kurz vor dem Gipfel stürzte ein nachfolgender pakistanischer Bergsteiger eines anderen Teams durch eine Schneewechte auf dem Gipfelgrat auf die chinesische Seite hinunter. Dieses Ereignis stoppte den Gipfelvorstoß aller aus naheliegenden Gründen.“
Wie der Nepalese im Jahr 2019 will Harila als erste Frau alle 14 Achttausender in einem halben Jahr besteigen – wie Nims mit Flaschensauerstoff, starker Sherpa-Unterstützung und, wenn möglich, Hubschraubern, um die Distanzen zwischen den Bergen möglichst schnell zu überwinden. In Pakistan dürfte dies nicht möglich sein, da Helikopterflüge im Norden des Landes nur dem pakistanischen Militär erlaubt sind.
Der 8611 Meter hohe K2 im Karakorum (im Sommer 2004)
Wird der K2 wie der Mount Everest zum Verkaufsschlager? Nein, das muss ich nicht mehr als Frage formulieren. Der 8611 Meter hohe Berg an der Grenze zwischen Pakistan und China ist bereits ein Renner im Angebot der kommerziellen Expeditionsveranstalter. Karrar Haidri, Chef des Alpine Club of Pakistan, sagte der pakistanische Zeitung „The News“, in diesem Sommer würden mehr als 400 Bergsteigerinnen und Bergsteiger versuchen, den zweithöchsten Berg der Erde zu besteigen. Zum Vergleich: Für die zurückliegende Frühjahrssaison am Everest erteilte die Regierung Nepals 325 Besteigungsgenehmigungen, im Rekordjahr 2021 waren es 408.
„Letzte Woche wurde der zweite Schuh meines Bruders Günther am Fuße des Diamir-Gletschers von Einheimischen gefunden. Nach nach zweiundfünfzig Jahren. Und die Tragödie am Nanga Parbat bleibt für ewig bestehen, ebenso wie Günther.“ Mit diesen Worten kommentierte Bergsteiger-Legende Reinhold Messner heute in den sozialen Medien das Bild eines alten Bergschuhs auf einem großen Felsbrocken. Ihm sei das Foto zugeschickt worden, sagte der 77 Jahre alte Südtiroler der Deutschen Presse-Agentur. Er werde den Schuh persönlich in Pakistan abholen, aber das eile nicht, so Messner.
Der legendäre pakistanische Hochträger „Little Karim“ (l., rechts daneben Kurt Diemberger und ich im Sommer 2004)
Der nur 1,58 Meter „Kleine“ war einer der ganz Großen. Der legendäre pakistanische Bergsteiger Mohammad Karim, den alle wegen seiner Körpergröße nur „Little Karim“ nannten, ist nach pakistanischen Medienberichten heute im Alter von 71 Jahren in einem Militärkrankenhaus in der Stadt Rawalpindi gestorben. Karim litt an Leberkrebs, die Regionalregierung von Gilgit-Baltistan hatte erst kürzlich erklärt, dass sie die Kosten für die Behandlung „Little Karims“ übernehme. Daraufhin war er von seinem Haus im Bergdorf Hushe nach Rawalpindi transportiert worden.
David Göttler am Nanga Parbat, im Hintergrund Hervé Barmasse
„Laut langfristiger Wettervorhersage zeichnet sich am Horizont kein vernünftiges Wetterfenster ab. Der Jet-Stream macht es sich dauerhaft genau über dem Gipfel des Nanga Parbat bequem“, schreibt der deutsche Bergsteiger David Göttler aus dem Basislager zu Füßen des 8125 Meter hohen Bergs in Pakistan.
Sein italienischer Teampartner Hervé Barmasse ergänzt, dass im Gipfelbereich Windgeschwindigkeiten von 70 bis 200 Stundenkilometern erwartet würden. „Und wie fast immer werden nach einem so starken Wind die heftigen Schneefälle wieder einsetzen und das Warten im Basislager sinnlos machen.“ So werden Göttler und Barmasse nach rund vier Wochen ihre Zelte in Pakistan abbrechen und heimkehren.
Der „nackte Berg“ – das heißt Nanga Parbat übersetzt – ist noch nackt, was Winterbesteigungen über die nach Südosten ausgerichtete Rupalflanke betrifft, die höchste Bergwand der Welt. Die einzigen beiden Winter-Gipfelerfolge bisher an dem 8125 Meter hohen Berg in Pakistan gelangen über die Nordwestseite, die Diamirflanke: die Wintererstbesteigung 2016 durch den Spanier Alex Txikon, den Italiener Simone Moro und den Pakistaner Muhammad Ali „Sadpara“ (die Südtirolerin Tamara Lunger kehrte 70 Meter unter dem Gipfel um) und die zweite Besteigung in der kalten Jahreszeit durch die Französin Elisabeth Revol und den Polen Tomek Mackiewicz (der beim Abstieg starb).
In diesem Winter wollen der deutsche Topbergsteiger David Göttler (43 Jahre alt) und der Italiener Hervé Barmasse (44) den Nanga Parbat über die Rupalseite besteigen – in sauberem Stil, also ohne Fixseile und Flaschensauerstoff. Der US-Amerikaner Mike Arnold (34), der die beiden nach Pakistan begleitete, wird „wie geplant bald wieder Richtung Heimat zurückreisen“, wie mir David aus dem Basislager auf 3500 Meter Höhe schreibt. „Nur Hervé und ich werden den Berg probieren.“
2017 gemeinsam in Tibet
David war schon einmal im Winter auf dieser Seite des Nanga Parbat unterwegs: 2014 gelangte er auf der sogenannten „Schell-Route“ (benannt nach dem Österreicher Hanns Schell, der 1976 dort aufstieg) bis zum Mazeno-Grat auf 7200 Metern, ehe er wegen schlechten Wetters umkehrte. Im Frühjahr 2017 kletterten Göttler und Barmasse in Tibet gemeinsam durch die Südwand des Achttausenders Shishapangma – bis fünf Meter unterhalb des Gipfels.
David, wie fühlt es sich für dich an, wieder am Nanga Parbat zu sein – acht Jahre nach deinem ersten Winterversuch?
Nanga-Parbat-Basislager (im Hintergrund die Rupalwand)
Das Basislager zu Füßen des Nanga Parbat steht. Und wenn der Deutsche David Göttler, der Italiener Hervé Barmasse und der US-Amerikaner Mike Arnold aus ihren Zelten blicken, sehen sie auf die Rupalwand des Achttausenders Nanga Parbat – „eine fast 4500 Meter hohe Wand aus Schnee, Eis und Fels“, wie Hervé in einem Interview der italienischen Sportzeitung „La Gazetta dello Sport“ sagte. „Es ist die höchste Wand der Welt, und noch nie ist es jemandem gelungen, sie in der kältesten Jahreszeit zu überwinden.“ Zum Vergleich: Die Rupalwand ist rund 1000 Meter höher als die Nordwand des Mount Everest und zweieinhalbmal so hoch wie die Eiger-Nordwand.